Caritas Socialis
Schwesterngemeinschaft
menschen. leben. stärken.

Einführende Worte zur Messe am 17.09.2009

Gisbert Greshake, Professor für Dogmatik in Freiburg/Wien/Rom

Hildegard von Bingen gehört mit Sicherheit zu den bedeutendsten Frauen des Abendlandes. Und heute ist sie für manche Zeitgenossen wohl die bekannteste Frau des MA: allerdings kennen sie viele nur als Ärztin, die eine ganzheitliche Medizin vertritt, als eine Art Bio-Kräuterfrau. Aber viel zu wenig ist sie heute als eine absolut originelle Theologin und Mystikerin bekannt, als eine Frau, die eher Künstlerin als Gelehrte ist, begabt mit einer bildmächtigen visionären Phantasie, die all ihre Schriften prägt.


Darüber hinaus ist sie äußerst sprachbegabt, sie schreibt Gedichte und Lieder, betätigt sich als Komponistin und Autorin von Singspielen. So ist sie mit Sicherheit ein Genie. Ein französischer Historiker schreibt über sie: Sie ist das Wunder des 12. Jh., nicht allein im Hinblick auf ihre Heiligkeit, sondern auch auf ihr Wissen.

Hildegard wuchs in einer äußerst unfriedlichen Zeit auf. Das zwielichtige Abenteuer der Kreuzzüge hatte gerade begonnen. Kirchenpolitik. Spannungen zerrissen das Abendland. Kaiser und Papst bekriegten sich, und zudem gab es 2 Päpste zu gleicher Zeit, einen rechtmäßig gewählten und einen kaiserl. Gegenpapst. In dieser unfriedlichen Zeit wuchs Hildegard in einer adligen Familie am Mittelrhein bei Bingen auf, wurde aber schon mit 8 Jahren einem nahegelegenen Kloster zur Erziehung übergeben. Schon als junges Mädchen schloss Hildegard sich dann diesem Kloster an und wurde bald schon dessen Vorsteherin. Angesichts eines solchen Lebens, das sich von Kindheit an hinter Klostermauern vollzog, möchte man meinen, da müsse man doch weltfremd werden. Aber das absolute Gegenteil war der Fall: Der Ruf Hildegards, von ihrem Wissen, ihrer Weisheit und ihrer Fähigkeit, Rat zugeben, verbreitete sich bald überall hin. Von allen Seiten bat man Hildegard um Rat und Hilfe. Es gab Tage, wo sich die Boten der geistlichen und weltlichen Würdenträger vor ihrem Kloster buchstäblich die Klinke in die Hand gaben. Hunderte von Hildegards Briefen sind uns überliefert, einer der umfangreichsten Briefsammlungen, die uns aus dem Mittelalter erhalten sind. Unter ihren Briefpartnern waren Fürsten und Bischöfe bis hinauf zu Kaiser und Papst. Hildegard wagte es, gerade auch den Mächtigen der Erde ins Gewissen zu reden. An den damaligen König Konrad III., der sie um ihr Gebet ersucht hatte, schreibt sie: Bessere Dich, dass Du ... nicht mehr über Deine Taten zu erröten brauchst. Kaiser Friedrich Barbarossa rief sie zu einer Unterredung in seine Pfalz und stellte ihr einen Schutzbrief für ihr Kloster aus. Das hinderte Hildegard nicht daran ihm die Leviten zu lesen, als dieser einen Gegenpapst aufstellte. Sie schreibt wohlgemerkt an einen Kaiser - : Hüte Dich, dass der höchste König Dich nicht um der Blindheit Deiner Augen willen verdamme. Mutige Worte, absolut ungewöhnlich für eine Frau in der damaligen Zeit.

Ungewöhnlich ist auch, dass sie einige größere Reisen unternimmt, um Frieden zu stiften und die Gewissen wachzurufen. Sie predigt vor dem Klerus und vor dem Volk auf öffentlichen Plätzen. Und die Reaktion der Menschen? Das Wort eines Abtes, in dessen Kloster sie eine Mahnpredigt gehalten hat, ist uns erhalten. Es lautet: Durch Euren Mund durften wir Christi Stimme vernehmen.
Darüber hinaus kommen zu ihrem Kloster auch die einfachen Leute, die Armen und die Kranken. Da Hildegard selbst von Kindheit an eine sehr schwache Gesundheit hatte, kannte sie sich mit vielerlei Krankheiten aus und wusste, wie man Schmerzen behandelte.
Schließlich ist auch erwähnenswert, dass sie auch schwerwiegende Konflikte mit kirchlichen Autoritäten keineswegs scheute. Einen jungen Adligen, der exkommuniziert war, ließ sie gegen den Protest ihres Bischofs auf ihrem Klosterfriedhof bestatten und nahm dafür in Kauf, dass den Schwestern im Kloster jeglicher Gottesdienst untersagt wurde (Interdikt).

Das waren nur ein paar eher äußere Hinweise auf die heilige Hildegard von Bingen, einer ganz bedeutenden Gestalt.
Und ich meine nun, wenn man sich so diese verschiedenen Faktoren vor Augen hält, merkt man, wie sehr Hildegard Burjan so etwas wie eine Geistesverwandte der heiligen Hildegard war. Beide waren intelligent und hochbegabt, und scheuten es nicht als selbstbewusste Frauen, in aller Öffentlichkeit für ihre Sache einzutreten und dabei auch Konflikte auf sich zu nehmen. Beide setzten sich für Gerechtigkeit und Frieden ein. Beide standen gerade den Armen und Schwachen hilfreich zur Seite. Beide waren angesehen und bekannt als Ratgeberinnen. Und auch wenn die eine unverheiratet, die andere verheiratet war, vereint sie doch beide eine ungeheure Hochachtung vor der Ehe. Vor Jahren suchte ich einmal spirituelle Texte aus dem MA über die Ehe. Das beste, was ich gefunden habe, stammt von der unverheirateten Hildegard. Sie formuliert z.B. den Satz: Als Eva Adam ansah, war es, als blickte sie in den Himmel hinein und als richtete sich die Seele sehnsuchtsvoll zum Himmel. Die eheliche Liebe also als Erfahrung der Liebe Gottes. Deswegen gibt es zwischen Verheirateten und Unverheirateten keine getrennten Wege zu Gott. Das hat auch Hildegard Burjan so gesehen. Vieles also vereint beide Hildegards. Vor allem aber das, was die heutige Lesung über die Weisheit Gottes sagt. Es heißt dort: Sie habe ich geliebt und gesucht von Jugend auf! Tiefgehende Gemeinsamkeiten also! Und so wollen wir hoffen und auch darum beten, dass sie bald vereint sind in der Liste der von der Kirche offiziell anerkannten Heiligen.

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